Gerade bin ich auf dem Flughafen in Berlin Tegel gelandet. Die Maschine rollt langsam von der Landebahn zu ihrem endgültigen Stopp.
Es ist Sonntagabend um 23.00 Uhr.
Ich bin erschöpft aber glücklich und voller fantastischer Erlebnisse, die ich in den letzten beiden Tagen bei lieben Freunden in der Schweiz erleben durfte. Hinter mir liegt ein wunderschönes, verrücktes, lustiges und tiefsinniges Wochenende.
Warum erzähle ich das und wer bin ich eigentlich?
Vor einiger Zeit bin ich über einen Beitrag von Farina gestolpert, der mich so sehr angesprochen hat, dass ich direkt einen langen Kommentar dazu hinterlassen habe. Und das mache ich äußerst selten.
So haben wir uns gefunden.
Ihre Art zu schreiben finde ich wunderschön, ihre Themen sind meinen ähnlich und so habe ich einem Gastartikel auf ihrem Blog gerne zugestimmt.
Da bin ich nun. Ich heiße Sandra und lebe zusammen mit meinem Mann glücklich in Berlin.
Ich bin verrückt nach Himbeeren, liebe das Meer, möchte noch die ganze Welt bereisen und kann bis heute nicht mit dem Auto gerade rückwärtsfahren.
Außerdem habe ich keinerlei Orientierungssinn, weshalb ich immer mal wieder neue Orte kennenlerne.
Ich liebe es meinen Gedanken nachzuhängen und die Freiheit zu haben, Dinge zu hinterfragen. Daraus hat sich eine große Leidenschaft, eine neue Liebe entwickelt. Das Schreiben. Eigentlich hat es mich gerettet.
Vor was? Das erzähle ich euch gern.
Schreiben ist für mich zu einem wichtigen Bestandteil meines Lebens geworden. Dabei fing alles mit einer lebensverändernden Entscheidung vor einigen Jahren an.
Wenn mir das jemand vor 3 Jahren gesagt hätte, hätte ich denjenigen für völlig verrückt erklärt und ihn zum Teufel gejagt.
Noch vor 3 Jahren sah meine Welt ganz anders aus, denn nach außen hin war scheinbar alles toll. Besser hätte es nicht laufen können, würden viele Menschen sagen. Innen jedoch, war alles schwarz.
Wie so oft, trügt der Schein, dem wir von Zeit zu Zeit auf den Leim gehen. Wir sind alle nur Menschen und lassen uns nur allzu gern von einer schönen bunten Glitzerwelt blenden.
Dabei hatten wir das, was die Meisten von uns als schönes Leben bezeichnen würden. Und das war es auf den ersten Blick auch.
Mein Mann und ich haben damals in der Schweiz gelebt und sehr viel Geld verdient. Wir hatten eine wunderschöne große Wohnung mitten in einer hübschen kleinen historischen Altstadt. Gelegen an einem kristallklaren Fluss, umgeben von wunderschöner Natur, klarer Luft und netten Menschen.
Das klingt wie eine Postkarten-Idylle und das war es auch.
Dennoch war ich jahrelang tief unglücklich, oft verzweifelt und teilweise depressiv, wie ich heute weiß.
Alles fing vor 7 Jahren an.
Der Umzug aus Deutschland in die Schweiz war keine geplante Auswanderung.
Eher durch Zufall erhielt mein Mann ein Angebot für einen sehr interessanten Job.
Zu diesem Zeitpunkt waren wir mit unserer kleinen Firma bereits 10 Jahren selbstständig. Finanziell waren es schwierige Zeiten, da kam das Angebot gerade recht. Wir haben damals Familienrat gehalten und ohne groß drüber nachzudenken uns alle dafür entschieden.
Keiner von uns konnte zum damaligen Zeitpunkt ahnen, was diese Entscheidung wirklich bedeutete, was auf uns zukam und wie sehr wir alle auf die Probe gestellt würden.
Über meine Schweizer Zeit habe ich noch nie erzählt. Nur für mich ganz alleine gibt es Aufzeichnungen darüber.
Nur ganz wenige Menschen aus meinem engsten Umfeld ahnten wie es mir damals wirklich ging.
Fast 5 Jahre haben wir dort gelebt. Mental war das der bisher tiefste und dunkelste Punkt in meinem Leben.
Ich hatte meine Wurzeln verloren, war rausgerissen aus allem, was ich bisher kannte. In ein Land, dessen Sprache und Kultur ich nicht verstand und dessen Menschen ich ablehnte. Durch diesen Umbruch änderte sich alles von heute auf morgen für mich. Nichts war mehr wie vorher, Familie, Freunde, mein Job, unser ganzes Leben war gefühlt weg.
Ich hatte keinen Boden mehr unter den Füssen und fiel für lange Zeit in ein tiefes dunkles Loch. Meine Tochter und meinen Mann hätte ich fast mit heruntergerissen. Und ich habe es nicht mal bemerkt. Ich war zu sehr mit mir beschäftigt.
Nicht im Geringsten war ich auf dieses Abenteuer vorbereitet. Ich wusste nicht, was es anrichten kann, wenn du dich heimatlos, wurzellos, abgeschnitten und im freien Fall befindest.
Ich war meinen Gefühlen und Gedanken viele Monate und Jahre gnadenlos ausgeliefert. Ich war gefangen zwischen zwei Welten und irgendwann so abgeschnitten von mir selbst, dass ich mich nur noch als leere Hülle wahrgenommen habe. Und irgendwo in dieser Hülle war ich, ganz tief, ganz weit unten, ganz klein und elend.
Ich war mir selbst ausgeliefert und habe einfach nicht erkannt, dass ich es selbst in der Hand hatte.
Ich selbst war die Ursache für all mein Leid. Ich war wie blind und taub. Die Umstände, meine Familie, die Schweiz, einfach alles habe ich dafür verantwortlich gemacht. Mir ging es mental unglaublich schlecht und irgendwas oder irgendjemand musste dafür bezahlen.
Wenn ich diese Zeilen lesen kommen mir die Tränen. Aber das war meine Realität damals.
In meiner Wut habe ich so vielen Menschen in meiner dunklen Welt Unrecht getan.
Ich habe sie verflucht und meine Entscheidung tausendmal bereut und gehasst. Sie alle waren Schuld an meinem Leid, allen voran mein Mann. Wegen ihm bin ich damals in die Schweiz gegangen, nur für seine Karriere.
Dabei hatte der Schmerz, der mich so gequälte, absolut nichts mit ihm zu tun. Der war schon lange vorher da. Nie hatte ich mich bis dahin mit meinen Träumen, Wünschen und Werten beschäftigt. Nie hatte ich mich bis dahin gefragt wer ich bin, was mich ausmacht und wohin ich im Leben möchte. Mein Leben plätscherte einfach nett vor sich hin.
Die Schweiz war nur der Auslöser mein bisheriges Leben zu hinterfragen und damit meinem Leben eine völlig neue Richtung zu geben.
Die Entscheidung zur Auswanderung haben wir damals alle zusammen getroffen, aber das wollte ich nicht wahrhaben. Mein Schmerz war einfach zu groß und hat mich völlig blind für die Realität gemacht.
Irgendwann habe ich mich selbst gehasst, dafür dass ich es nicht schaffte, uns dort ein neues Leben aufzubauen. Die Veränderungen anzunehmen und diese als Chance statt als Zerstörung zu verstehen. Die Bedingungen dafür waren perfekt. Doch ich habe es einfach nicht hinbekommen. Je mehr ich es wollte, desto größer wurde der Hass auf alles und auf mich.
Wie ein verwundetes Tier habe ich mich mehr und mehr zurückgezogen, um meine Wunden zu lecken.
Es war so einfach, die Schuld für alles auf meinen Partner zu schieben.
Er hat all meine Launen tagein tagaus geduldig ertragen. Er war immer da und damals mein einziger Freund. Die alten Freunde waren weit weg und neue Freunde hatten wir nicht. Dabei habe ich nicht bemerkt, dass er selber leidet. Wenn mein Mann nicht gewesen wäre, hätte ich diese schwierige Zeit nicht überstanden.
Er hat immer zu mir gehalten, egal wie es mir ging. Er hat unermüdlich versucht, mich aus meinem Loch wieder herauszuholen und hat nie aufgeben. Dabei hat er selber einige Beulen, Schrammen und auch tiefere Wunden davon getragen, bis hin zu seinem Burnout, weil er mir nicht wirklich helfen konnte. Plötzlich brauchte er meine Hilfe mehr als ich seine. Der Spieß drehte sich damit um. Dieser Vorfall hat mich durchgeschüttelt und regelrecht wachgerüttelt.
Ich bin wie aus einer langen Trance aufgewacht und habe im wahrsten Sinne des Wortes seit langer Zeit wieder klare Bilder gesehen. Nach und nach begriff ich, was ich angerichtet hatte. Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich war so erschrocken und erschüttert über mich, weil ich erst jetzt langsam kapiert hatte, was wirklich passiert war………
Es würde wohl den Rahmen sprengen und könnte vermutlich ein ganzes Buch füllen, wenn ich die ganze Geschichte erzählen wollte. Nur so viel sei an dieser Stelle noch gesagt. Wir haben alles zusammen als Familie überstanden. Als mein Mann krank wurde musste ich funktionieren, schon alleine für unsere Tochter, damals 14 Jahre alt und für ihn. Plötzlich hatte ich keine Zeit mehr, ständig nur um mich selber zu kreisen. Da waren zwei Menschen, die mich mehr brauchten.
Und das war der Anfang einer wunderbaren langen Reise, die schon längst begonnen hatte und jetzt eine ganz neue Richtung nahm.
Genau zwei Jahre sind jetzt seit unserer Rückkehr aus der Schweiz vergangen.
Heute lebe ich mit meiner Familie in Berlin und freue mich jedes Mal, wenn wir wieder in unsere zweite Heimat zu Besuch fahren. Ich bin sehr gerne in der Schweiz. Wir haben dort Freunde fürs Leben gefunden. Ich und die Schweiz haben uns ausgesöhnt. Heute liebe ich es dort zu sein, denn sie war ein wichtiger Lehrer für mich. Außerdem ist sie wunderschön.
So schwer diese Zeit für mich auch war, sie ist der Schlüssel zu meinem heutigen glücklichen Leben. Ohne diese wichtige Zeit wäre ich heute nicht da, wo ich bin.
Mein Leben wäre niemals so erfüllt und glücklich, wie es das jetzt schon ist. So viele Dinge waren mir vorher nicht bewusst, so viele Erfahrungen und Erkenntnisse hätte ich nicht gehabt.
Ich habe Freunde verloren und neue Freunde dazugewonnen. All die tollen Menschen auf meinem Weg hätte ich niemals kennengelernt. Manchmal glaube ich, dass es vorbestimmt und wichtig für mich war, diesen „Umweg“ im Leben zu gehen. Um zu erkennen, wer ich wirklich bin und was ich vom Leben eigentlich will. Für mich gibt es keine Zufälle mehr, alles ergibt früher oder später einen Sinn.
Es ist an der Zeit darüber zu erzählen und anderen Menschen damit Mut zu machen. Ich habe aus dieser Zeit so unfassbar viel über mich selbst, meine Werte und meine Grenzen gelernt.
Ich habe gelernt ganz tief zu fallen und wieder aufzustehen. Ich habe dadurch gelernt dem Leben und mir vollkommen zu vertrauen.
Und ich habe das Schreiben für mich entdeckt, eines der wertvollsten Entdeckungen in meinem Leben. Das Schreiben ist für mich der Fels in der Brandung, mein Anker, mein Retter. Beim Schreiben bin ich frei.
Schreiben entlastet meine Seele und ist die Verbindung zu ihr.
Wie ein guter Freund steht mir das Schreiben bei. Einem Freund, dem ich alles anvertrauen kann. Ihm kann ich alles erzählen. Ganz egal, wie verrückt, traurig, schlimm, elend, jämmerlich, schmerzlich oder angsteinflößend meine Gedanken sind. Dieser Freund wertet niemals oder verurteilt mich gar. Er ist geduldig und tröstet mich. Er nimmt meinen Schmerz zu jeder Zeit auf und ist für mich da. Er ordnet meine Gedanken und bringt Licht in das ewige Gedankenchaos in meinem Kopf.
Beim Schreiben kann ich alles rauslassen, was mich beschäftigt, mich quält, mir Angst macht oder ich nicht verstehe. Und ich kann es danach wieder vernichten, ohne jemandem wehzutun.
Er nimmt mir den Schleier von meinen Augen, der mir so oft die Sicht auf das Wesentliche versperrt. Schreiben hilft mir immer wieder, die Dinge klarer zu sehen. Aus losen Gedankenfezen, die ständig unkontrolliert in meinem Kopf herumhetzen, setzt sich beim Schreiben nach und nach ein schlüssiges Bild zusammen. Es lässt mich neue Möglichkeiten, Wege und Lösungen erkennen.
Schreiben ist für mich wie Atmen. Ohne geht es nicht.
Am Anfang habe ich nur für mich selbst geschrieben. Letztes Jahr im Dezember 2018 habe ich meinen Blog „Träume-Sinn-Wirklichkeit“ gestartet. Ich hatte einfach das Gefühl, dass es noch mehr Menschen da draußen gibt, denen es so geht wie mir.
Mittlerweile ist sogar ein erstes Buch daraus entstanden. Vielleicht findet sich der eine oder andere in meinen Geschichten wieder. Vielleicht mache ich dem einen oder anderen Mut. Oft hilft es schon zu wissen, dass es anderen Menschen ähnlich geht und man nicht alleine damit ist. Wenn ich nur einen einzigen Menschen da draußen erreiche, ist es das Beste, was ich mir nur wünschen kann.
Durch all die Höhen und Tiefen, durch die ich bisher in meinem Leben gehen durfte, liebe ich das Leben mehr denn je und freue mich über jeden einzelnen Tag, den ich es leben darf.
Das Leben ist ein einzigartiges Privileg für dich und mich und wartet nur darauf entdeckt und gelebt zu werden.
Dieses Geschenk zu begreifen und zu erkennen, dabei hat mir das Schreiben einen unschätzbaren Dienst erwiesen und wird es weiterhin tun.
Für Farina wollte ich einen ganz besonderen Gastartikel schreiben. Einen sehr persönlichen.
Dafür bin ich Ihr von ganzem Herzen dankbar.
Genau das ist meine Geschichte. Nicht die Ganze, aber ein wichtiger Teil aus meinem Leben, den ich gerne mit Euch teile.
Alles Liebe,
Sandra